Der Crêt de la Neige, der oft als Dach des Juramassivs bezeichnet wird, musste seinen Titel abtreten. Wissenschaftler*innen der Universität Lausanne (UNIL) verwendeten fortgeschrittene GPS-Methoden und identifizierten somit einen bisher unbekannten Gipfel mit einer Höhe von 1720,83 m. Damit überragt der neue Gipfel, mit dem Namen “J1”, den Crêt de la Neige um 2,75 Meter. Er befindet sich in einem geschützten Gebiet in Frankreich.
Das Juramassiv liegt im Nordwesten der Alpen, entlang der Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz, und erstreckt sich über mehr als 360 Kilometer. Dessen höchste Gipfel befinden sich im französischen Teil. Laut seit dem 19. Jahrhundert durchgeführten Messungen konkurrieren zwei Gipfel um den Titel des höchsten Punktes: der Crêt de la Neige und Le Reculet. Bis heute sind sich nicht alle verfügbaren topografischen Karten über ihre genauen Höhen einig.
Dies zog die Aufmerksamkeit von György Hetényi auf sich. Er ist ein begeisterter Wanderer und Orientierungsläufer, aber auch Professor am Institut für Erdwissenschaften (ISTE) der Universität Lausanne. „Ich hatte auf einer der Karten eine Höhenlinie gesehen, die nicht gut lesbar war und mich neugierig machte “, sagt er.
Auf seine Anregung hin fand sich ein Team von Spezialisten und Spezialistinnen der UNIL zusammen und führte mit Genehmigung der Präfektur des Departements Ain (FR) im Juli eine Kampagne mit hochpräzisen GPS-Messungen durch. Das Ergebnis war eindeutig: Der Crêt de la Neige ist nicht der höchste Gipfel des Juras. Ein bislang unbekannter Gipfel, der sich weiter entfernt im selben Gebiet befindet, übertrifft ihn um 2,75 Meter.
Der J1 ist der höchste Gipfel des Juramassivs
Die Wissenschaftler*innen tauften ihn “J1”, in Anlehnung an den berühmten K2 im Karakorum (Pakistan), dessen Name von der Notation herrührt die für unbekannte Gipfel auf der ersten Zeichnung, auf der er auftauchte, verwendet wurde. Die endgültige Rangliste sieht wie folgt aus: Der J1 ist mit seinen 1720,83 Metern der höchste Gipfel des Juramassivs. Ihm folgen der Crêt de la Neige und ein weiterer neu vermessener Gipfel (der J2), die beide 1718 Meter und ein paar Zentimeter hoch sind. Den Abschluss bildet Le Reculet mit 1717,14 Metern. Die Messungen wurden an den höchsten festen Felsspitzen eines jeden Gipfels durchgeführt, und die Berechnungen weisen einen Fehlerbereich von maximal 5 Zentimetern auf (siehe Kasten unten). Die Ergebnisse wurden in den Mémoires de Géologie (Lausanne) veröffentlicht.
„Wir hatten einen Unterschied erwartet, aber nicht, dass er so ausgeprägt sein würde“, sagt György Hetényi. „Der J1 hatte bisher keine Aufmerksamkeit erregt, wahrscheinlich weil er nicht sehr auffällig und von Bäumen umgeben ist und die traditionellen Methoden der Triangulationsberechnung auf der Sichtbarkeit der Gipfel beruhen.”
Wie der Crêt de la Neige liegt auch der J1 im nationalen Naturschutzgebiet der Haute Chaîne du Jura, einem Gebiet, das eine außergewöhnliche und seltene Flora und Fauna (Auerhuhn, Luchs) beherbergt. Ihr Gleichgewicht reagiert sehr empfindlich auf menschlichen Einfluss insbesondere auf Wanderungen abseits der Wege. Um das Gebiet zu schützen, wird daher der genaue Standort des J1 nicht veröffentlicht. Der interne Bericht der Expert*innen wurde dem nationalen Naturreservat der Haute Chaîne du Jura, dem Institut national de l'information géographique et forestière (IGN) in Frankreich und dem Bundesamt für Landestopografie (swisstopo) in der Schweiz übermittelt.
Methode der Berechnung
Das Team der UNIL verwendete eine Methode namens Differential-GPS. Die Wissenschaftler*innen brachten eine professionelle Antenne am Punkt J1 an und ließen sie dort vier Stunden lang als „Basis“ stehen, sodass ihr Standort und ihre Höhe mithilfe der Satelliten und des permanenten GPS-Netzes auf den Zentimeter genau bestimmt werden konnten. Eine weitere GPS-Antenne wurde nacheinander zu den drei anderen Punkten gebracht und dort jeweils 30 Minuten lang belassen. Dieser gleichzeitige Betrieb zusammen mit der Basis ermöglicht dem mobilen GPS oder „Rover“ eine sehr genaue relative Positionierung und die Aufzeichnung der notwendigen Korrekturen, die von der Basis geliefert werden. Der endgültiger Fehlerbereich beträgt maximal plus/minus 5 Zentimeter für die Höhe von J1 und im Zentimeterbereich für die relative Positionierung der anderen Gipfel in Bezug auf J1.
Die Messkampagne wurde am 2. Juli 2024 von einem vierköpfigen Team des ISTE der UNIL durchgeführt: György Hetényi, Anne-Marie Chagros, Kim Lemke, Ariane Maharaj; die Berechnungen wurden von György Hetényi und Ludovic Baron durchgeführt.
Quelle: G. Hetényi, A-M. Chagros, K. Lemke, A. Maharaj, L. Baron (2024) <Détermination du point culminant du massif du Jura, Mémoires de Géologie (Lausanne), n° 51, 6 pp.